DÄV-Leitartikel: Abiy zwischen Kieg und Frieden

Der Friedensnobelpreis wird in diesem Jahr am 10. Dezember an den äthiopischen Ministerpräsidenten verliehen – als wer wird er nach Oslo reisen? Als strahlender Friedensstifter zwischen Äthiopien und Eritrea und erfolgreicher Autor des Buches „Medemer“, das sich für eine neue/alte Synergie in Äthiopien einsetzt? Anders als bei der Verleihung des Hessischen Friedenspreises 2019 wird sich Dr. Abiy es sich wohl nicht nehmen lassen die Auszeichnung persönlich entgegen zu nehmen.

Als Initiator eines bis vor kurzem noch undenkbaren Friedensprozesses wird er nicht unverdient ausgezeichnet – auch erhält er den Preis als Motivation für weitere Schritte: “No doubt some people will think this year’s prize is being awarded too early,” Berit Reiss-Andersen, the chair of the Norwegian Nobel Committee, acknowledged. “The Norwegian Nobel Committee believes it is now that Abiy Ahmed’s efforts deserve recognition and need encouragement.” (The New York Times). Dem Nobelpreiskomitee „Naivität“ bei seiner Wahl zu unterstellen, wie mancher Kommentator dies tut, greift also nicht nur zu kurz, sondern ist selbst auch ein Stück weit naiv. Ist Idealismus und nicht gerade Kernkompetenz der Nobel-Juroren? Lässt sich mit moralisch weißer Weste in der Politik tatsächlich etwas erreichen?

Doch bei aller Freude über die neue Menschlichkeit zwischen Äthiopien und Eritrea, ist nicht zu leugnen, dass die Annährung mit Eritrea ins Stocken geraten ist. Die Auszeichnung für Dr. Abiy kommentiert das offizielle Eritrea mit eisernem Schweigendas nicht auch Präsident Esayas Afework ausgezeichnet wurde, hält man hier für „beispiellos“. Viel schwerer wiegen jedoch die Schwierigkeiten im eigenen Land, die den Ansprüchen des „Medemer“-Autors Abiy nicht gerecht werden können. (Über den Begriff „Medemer“ die DÄV-Vorsitzenden Maija Priess). Vor allem 1.200 Tote bei ethnischen Zusammenstößen im eigenen Land seit dem Amstantritt – bei jüngsten Gewaltausbrüchen in Oromia kamen mindestens 78 Tote und über 200 Verletzte hinzu. So viel Binnengeflüchtete in Äthiopien wie nie zuvor. Dem erst eineinhalb Jahre regierenden Premier die Schuld für föderale Fehlkonstruktion der letzten 30 Jahre und deren Implosion in die Schuhe zu schieben ist jedoch lächerlich. Ebenso schwierig ist die Forderung nach der „harten Hand“ – ist es ja gerade der andere Umgang mit Konflikten, durch die sich Dr. Abiy positiv von seinen Vorgänger abheben will: “The government has come to a decision for dialogue and education instead of using force, however, those who think patience is fear or altruism is weakness should know they are mistaken.”

Tatsächlich muss er sich jedoch den Vorwurf gefallen lassen auf Konflikte innerhalb seines Kernlandes Oromia anders reagiert zu haben als solche in anderen Bundesländern, auf die die Bundesregierung noch Zugriff hat (ausgenommen also Tigray). Es ist eben nicht die einfachste Übung sich mit den Leuten anzulegen, die einem die Basis für Machtergreifung gelegt haben. Mit einer Rede vor dem Parlament am Dienstag 22. Oktober scheint der Ministerpräsident eine Grenze überschritten zu haben: “Media owners who don’t have Ethiopian passports are playing both ways. We tried to be patient. But if this is going to undermine the peace and existence of Ethiopia ... we will take measures”, hatte Abiy gesagt. Gegen Mitternacht desselben Tages wurde angeblich vor dem Haus des Oromo-Aktivisten Jawar Mohamed das Sicherheitspersonal abgezogen. Anschließend eilten seine Anhänger zur Unterstützung vor sein Anwesen und protestierten auch gegen Dr. Abiy Ahmed. Während er in Sotschi beim Afrika-Russland-Gipfel in Sotschi weilte, blockierte die Qeerroo-Bewegung am Mittwoch und Donnerstag viele Straßen in den großen oromischen Städten außerhalb von Addis, vor allem Jugendliche mit amharischen Wurzeln wurden attackiert, aber auch andere Ethnien sollen zum Verlassen von Oromia aufgefordert worden sein – auch Angriff auf Kirchen werden berichtet. Jawar ruft schließlich zur Ruhe auf – Straßensperren werden wieder geräumt. Anruf am FReitag dieser Woche bei Freunden in Amhara: „Jawar ist jetzt der neue Ministerpräsident.“

Was ist dran? Welche Macht hat der US-Amerikaner wirklich? Nach dem Amstantritt von Abiy hatte er für sich nicht weniger als die Rolle als Königsmacher reklamiert. Nun spielt er mit dem Gedanken bei der Wahl im kommenden Jahr gegen Abiy anzutreten – als US-Amerikaner müsste er dafür seinen Pass zurückgeben. Während der Ministerpräsident lange Zeit schweigt und sich erst einmal nur zu einer schmalen Erklärung und mehreren Treffen mit Honoratioren und Vertretern der Gesellschaft in Oromia durchringen kann, verbreitet der von vielen Äthiopiern ebenso geliebte wie gehasste Jawar über westliche Agenturen wie AP und AFP seine Sicht der Dinge: Abiy versuche die autoritäre Herrschaft wieder herzustellen. Am deutlichsten äußerte sich zunächst lediglich die eigentlich nur repräsentierende Präsidentin Sahle-Work, die durch die jüngsten Ereignisse in Oromia eine „rote Linie überschritten“ sieht. (Mehr zu den bemerkenswerten Auftritten der Präsidentin in den letzten Monaten finden Sie auf unserer Website.) Auch der Ethiopian Humans Rights Council fordert, dass die Täter verfolgt werden müssten. Für beide gab es sofort Kritik von Jawar. Der äthiopische Patriarch Abune Mathias I trauert hingegen um die Toten und geht mit der Regierung hart ins Gericht. Schließlich lässt Abiy eine Wochen später seine Pressesprecherin Billene Seyoum eine offizielle Opferzahl verkünden, hastige Worte der Trauer sprechen und eine eingehende Untersuchung der „senseless acts“ ankündigen. Wenige Tage später muss der Premier dann doch noch einmal selbst vor die Kamera – inzwischen sind 86 Tote gezählt. Ob diese Statements den Augenzeugenberichten vor allem aus Adama (z.B. bei der AFP oder The Reporter Ethiopia) gerecht werden?

Wo ist die Machtbasis des bisher gefeierten Ministerpräsidenten? Die Oromo-Jugendbewegung Qeerroo scheint sich gegen Abiy zu stellen. Tigrays Eliten standen noch nie richtig an seiner Seite. Beim Putsch in Amhara im Juni und seine Reaktion darauf hat er viel Unterstützung in Amhara verloren. Brodelt es jetzt auch in der ODP? Oder wie ist der Machtkampf um das Bürgermeisteramt in Addis (anders als in dieser Meldung von Addis Standard ist er immer noch im Amt) und unnötige Provokation des Oromia-Vizepräsident Shimelis Abdisa zu deuten? Dieser hatte bei den Irreechaa-Feierlichkeiten, die zum ersten Mal überhaupt in Addis stattfanden, die Befreiung von den „naftegna“ („Gewehrträger“) gefeiert – ein Begriff der gerne abschätzigen für Amharen gebraucht wird – in Anspielung auf die mit Gewehren bewaffneten Kämpfer des Kaisers Menelik, der große Teile Oromias erobert hat. Seine Partei, die ODP, musste sich anschließend um Schadensbegrenzung bemühen. Inzwischen nennen die Qeerroo Abiy selbst „naftegna“.

Noch Mitte September sagte Dr. Abiy in einem Interview mit Sheger Radio, dass Äthiopien keine andere Wahl als die Einheit habe. Er äußerte sich optimistisch, dass das auch so bleiben werde und Äthiopien in ein paar Jahrzehnten ein „blühendes“ („prosperous“) Land sein werde. Im Moment klingt das weiter weg denn je. Wir drücken auf jeden Fall die Daumen! Einen Tag vor der Nobelpreisverleihung ist in Äthiopien der 14. Nations, Nationalities and Peoples Day – Zeit zu zeigen, wie nahe sich die Menschen in Äthiopien wirklich noch sind. Und wie es um die Hoffnung auf den selbst gar nicht so genau definierbaren Frieden steht: „Denn was Frieden genau ist, Frieden für wen, mit wem, selbst das ist ja auch umstritten. Insofern wundert es nicht, wenn auch der Friedensnobelpreis und wie er vergeben wird und an wen, immer wieder Diskussionen und Debatten auslöst. Das ist nicht schlecht, das ist eigentlich auch immer wieder Anlass, über diese Themen zu sprechen und nachzudenken.“ (Deutschlandfunk mit Friedenforscher Jörg Münchenberg im Gespräch)

100 Prozent lesenswert ist die Analyse des Äthiopien-Experten Tom Gardener „Abiy Ahmed and the struggle to keep Ethiopia together“ in „The Africa Report“, die noch vor den jüngsten Ausschreitungen in Oromia entstand. Ebenso die allgemeine Äthiopien-Studie „Resetting Ethiopia - Will the state heal or fail?“ des europäischen Institute for Security Studies. Außerdem eine aktuelle Reportage der Saarbrücker Zeitung eines deutschen Journalisten, der tatsächlich in Addis lebt: „Äthiopiens Hoffnungsträger am Scheideweg“.

Weitere Kommentare und Analysen zum Friedensnobelpreis und der aktuellen Situation in (inkl. Interviews mit Dr. Asserate) finden Sie auf unserer Website.

 

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