"Ich kann nicht so tun als sei Soddo Groß-Gerau"
Wer sich mit dem Thema Investitionen in Äthiopien beschäftigt, kommt am Frankfurter Rechtsanwalt Lutz Hartmann nicht vorbei. Gerade und vor allem, wenn es um Landwirtschaft geht. Bereits 2014 gründete der 48-Jährige das Unternehmen FruitBox, mit dem er eine Farm in der Nähe von Soddo (Southern Nations) betreibt. Durch die harten letzten Monate mit Unruhen und der Pandemie ließ er sich nicht beirren und erweitert gerade in der Regenzeit seine Plantage. Nun haben die Unruhen auch Soddo erreicht. DÄV-Öffentlichkeitsreferent Alexander Bestle befragte ihn exklusiv für unseren Neswsletter.
DÄV: Corona-Pandemie seit Mitte März, Ausnahmezustand ab April oder Unruhen in Oromia Anfang Juli und anschließende Abschaltung des Internets. Was hat in den letzte Monate ihre Arbeit als Agrar-Investor in Äthiopien am meisten beeinflusst?
Hartmann: Das kann ich gar nicht sagen, weil alles irgendwie ja zeitlich zusammen kam. Wirtschaftlich ist Corona das größere Problem, menschlich natürlich die Unruhen in Oromia. Unser Markt ist der gehobene Konsum in Addis, die Hotels und Restaurants sind fast alle geschlossen, sodass hier der Absatz nicht möglich ist.
Am vergangenen Wochenende und danach gab es Unruhen und auch Tote in Soddo – dabei geht es auch um die Selbstverwaltung von Wolayit. Gab es konkrete Auswirkungen auf Ihre Farm und Ihr Geschäft? Machen Ihnen die Entwicklungen Sorge?
Das ist sehr erschreckend und ich bedaure sehr, dass es zu diesen Vorfällen kam. Die Farm war nur insoweit betroffen als wir eine Ernte verschieben mussten. Wir hoffen, dass schnell wieder Ruhe einkehrt, die Narben werden aber noch lange bleiben. Es muss dringend ein demokratischer Umgang mit der Regionalfrage entwickelt werden.
Sie beliefern ja mit Ihren Papaya, Paprika, Aubergine, Kohl, Broccoli und Blumenkohl vor allem auch Hotels. Wie haben Sie auf den Ausfall dieser Nachfrage reagiert?
Wir haben enger mit Supermärkten und Lieferdiensten zusammengearbeitet. Aber wir hatten auch ein wenig Glück, denn die Regenzeit ist bei uns eh nicht die Zeit mit der höchsten Produktion. Ab September würden wir gerne wieder mehr geöffnete Hotels mit internationalen Gästen sehen. Allerdings sieht es nicht so gut aus, in Soddo, wo unser Büro ist, hat nun ein Hotel, welches die ganze Zeit offen war, wegen COVID geschlossen.
Müssen Sie jetzt auch noch Angst vor dem Rückkehr der Wüstenheuschrecke haben?
Ich befürchte die müssen wir immer haben, nach meiner Kenntnis sind die nicht ausgerottet und bewegen sich immer noch in Ostafrika. Bisher hatten wir Glück und waren vorbereitet. Wie oft wir das schaffen weiß ich nicht.
Diese großen Katastrophen in Äthiopien kommen ja auch in Teilen als Nachrichten bei uns in Deutschland an? Sind es aber nicht viel mehr die vielen kleinen Katastrophen, die das Arbeiten in Äthiopien so schwer machen?
Ja klar, das verstehen viele hier nicht, dass die grauenvollen Nachrichten z.B. aus Shashamane uns zwar mitnehmen, aber das Geschäft nur wenig beeinflussen. Hier ist es eher der alltägliche Kampf für strukturierte Absatzmärke, langfristige Lieferbeziehungen, faire Preise, Beschaffung, Zoll,… die uns Probleme bereiten.
Warum tut man sich das an? Ließe sich nicht anderswo auf der Welt einfacher Geld verdienen?
Das hat mich meine Frau auch oft gefragt und die Antwort ist natürlich: JA. Ich hatte immer eine große Unterstützung zuhause, auch wenn es für die Familie schwer war, wenn ich lange in Afrika war. Aber hier kommt ja zu der reinen monetären Komponente noch hinzu, dass wir durchaus auch eine Wirkung mit dem Investment erzielen wollen und einen entscheidenden Anstoß zu Entwicklung in der Region geben wollen. Das ist zwar nur langfristig zu beurteilen, aber wir hoffen hier schon auch das Leben von mehreren 1.000 Menschen positiv zu begleiten. Das gibt die Kraft für viele Entbehrungen. Eine Dienstreise nach Soddo bedeutet ja nicht nur Erfüllung, sondern auch viel Einsamkeit und sehr viel körperliche und intellektuelle Anstrengung.
Jetzt haben wir viel über Negatives geredet. Was sind die großen Errungenschaften der letzten Monate auf Ihrer Farm in Soddo?
Wir haben die Straße zur Farm ausgebaut und können diese nun das ganze Jahr besser befahren, wir räumen gerade 80 bis 100 Hektar Land um dieses im kommenden Jahr bepflanzen zu können, das bedeutet eine Verdopplung der Farmfläche. Wir haben mit Maracuja eine neues Produkt und die ersten Tests sehen sehr gut aus, leider kann ich aus der Entfernung nicht probieren … Wir haben auch fünf Hektar Mangobäume gepflanzt. Das ist eine Investition in die Zukunft, da wir wohl zwei bis drei Jahre auf Ertrag warten müssen. Und dann gibt es natürlich immer die vielen kleinen guten Nachrichten, neben den vielen kleinen schlechten von denen wir es oben hatten.
Sie haben ja auch gerade eine Schule gebaut?
Ja, das wirtschaftliche Projekt FruitBox hat andere Unternehmer motiviert, ein soziales Investment zu tätigen, neben der Farm, um die Entwicklung vor Ort noch weiter zu unterstützen und um die Nachhaltigkeit der sozialen Investition sicher zu stellen. Zudem arbeiten wir ja nach Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft: Wir wollen uns um die Mitarbeiter, die Community und die Umwelt kümmern, um so wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Das gehört für uns alles zusammen.
Wohin geht die Reise? Was sind die nächsten Ziele?
Die Farm vergrößern, einen Kühlraum installieren und die Energieversorgung sicherzustellen. Zudem Absatzmärkte verbessern.
Welche Rolle spielt Siemens dabei?
Siemens will mit uns ein innovatives Konzept des Solarkraftwerkes testen. Als Großabnehmer könnten wir die Kosten einer solches Installation absichern und gleichzeitig damit der Bevölkerung des Nachbarortes einen Zugang zu Energie ermöglichen. Aktuell habe sie diesen nicht, weil die nächste Leitung zu weit entfernt ist. Aber das ist natürlich in den Bereichen Finanzierung, Technik, Logistik, rechtlicher Rahmen usw. nicht ganz einfach. Wir hoffen aber auf Fortschritte noch in diesem Jahr.
Können Sie ihren Landsleuten hier mit gutem Gewissen empfehlen in Äthiopien zu investieren?
Nun, blauäugig sollte keiner nach Äthiopien gehen. Es ist anders als in der Wetterau einen Betrieb aufzubauen. Aber mit viel Ausdauer, einem guten Konzept und der Fähigkeit kulturell sensible zu reagieren, kann man etwas erreichen. Und man kann vielleicht nebenbei wirklich einen „Impact“ leisten, also eine positive Entwicklung initiieren.
Was müssten diese mitbringen und was können sie sich von vornherein abschminken?
In Äthiopien ist wenig wie bei uns. Es muss gut zugehört werden, kulturelle, rechtliche und wirtschaftliche Unterschiede müssen erkannt, zugelassen und eingeplant werden. Ich kann halt nicht so tun als sei Soddo so zu behandeln wie Groß-Gerau. Man muss in Äthiopien sehr gut zuhören und die Zwischentöne rauslesen. Schließlich darf man nicht nach dem schnellen Geld suchen…
Wann geht Ihr nächster Flieger nach Addis Abeba? Was werden Sie im Gepäck haben?
Noch kann ich das nicht riskieren wegen COVID. Ich habe eine Familie, und kann nicht Wochen und Monate in Afrika bleiben. Ich werde sobald es geht aber einiges Material für die Verpackung von unseren Premiumprodukten wie Moringapulver, Chilipulver und Chiliflakes mitnehmen.
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