"Die Schlacht hätte auch anders ausgehen können"

Am 2. März diesen Jahres jährte sich die legendäre Schlacht von Adua zum 125. Mal. An der Spitze des äthiopischen Heeres besiegte Kaiser Menelik zusammen mit seiner Gattin Taytu eine italienisches Expeditionsarmee. Italien musste schließlich seine Expansionspläne in Afrika erst einmal ad acta legen. Äthiopien wurde nie kolonisiert. Heute ist "Adua" Befreiungssymbol für den ganzen afrikanischen Kontinent. Grund für DÄV-Pressereferenten Alexander Bestle mit Prof. Dr. Stefan Brüne zu sprechen. Brüne war Mitarbeiter der in Dschibuti ansässigen Intergovernmental Authority on Development (IGAD) und Gastprofessor am Institute for Peace and Security Studies der Universität Addis Abeba (Äthiopien). Am Donnerstag, 26. März (ab 19 Uhr) ist Brüne zum Thema "Adua" Gast beim Online-Stammtisch der Partnerschaft mit Alem Katema (Link!) - in Kooperation mit dem DÄV.     

DÄV: Wie kam es 1896 zur Schlacht von Adua? Italien hat sich da ja nicht unbedingt klug angestellt. Es unterzeichnete einen Vertragstext, dessen italienische Variante sich von der amharischsprachigen unterschied.

Brüne: Es handelte sich um geopolitische und taktisch motivierte Verhandlungskalküle. Rom hatte koloniale Ambitionen, die kulturelle, linguistische und räumliche Dominanzbeziehungen vorsahen. Nachdem man Eritrea 1989 erobert hatte suchte Italien seine koloniale Einflusssphäre auszudehnen.

D: Haben die Äthiopier die Schlacht von Adua gewonnen oder haben die Italiener sie verloren?

B: Die militärisch und technisch überlegenen Italiener haben zahlreiche Fehler gemacht. Sie kannten sich in Eritreas Nachbarregionen nicht besonders gut aus, fuhren in die falsche Richtung und so weiter …

D: Das Narrativ von schlecht ausgerüsteten Äthiopiern, die gegen eine übermächtige italienische Armee kämpften, entspricht also nicht der Realität?

B: Auf italienischer Seite kämpften effizienzarme, zum Teil schlecht informierte Truppen. Hinzu kam, dass Äthiopien auch italienische Waffen bezog. Auf äthiopischer Seite kämpften 100.000, auf italienischer 14.500 Soldaten.

D: Die italienischen Waffen ermöglichten also die äthiopischen Gewehrträger, die „naftegna“, die Kaiser Menelik den Sieg bescherten?

B: Ja und Nein. Die Schlacht um Adua hätte auch anders ausgehen können.

D: Kaiser Menelik II. war als oberster Feldherr dabei – welchen Anteil hatte er an der italienischen Niederlage?

B: Menelik verband diplomatische Erfahrung mit Glück und nutzte seine Kontakte zu Frankreich und Russland. Auch London sah die italienischen Expansionsvorhaben skeptisch.

D: Sie haben angemerkt, dass Äthiopien zunächst nicht als ein fest strukturierter Nationalstaat existierte – inwiefern hat „Adua“ zur Festigung national begründeter Politiken beigetragen?

B: Kaiser Menelik II. hatte anfangs große Probleme, seine Herrschaftsansprüche auf Gebiete auszuweiten, die historisch – wie der Süden Oromos – nicht zu Äthiopien zählten. Die Schlacht von Adua hat dann einen fragilen Staatsbildungsprozess befördert, der bis heute anhält. Wie auch immer. Menelik konnte behaupten: Wir haben als erstes und einziges afrikanisches Land Europas kolonialen Imperialismus besiegt.

D: Gibt es also direkte Verbindungslinien zwischen den Konflikten von damals und heute?

B: Der Sieg von Adua beförderte eine feudal verfolgte Expansionspolitik, in deren Folge die heute südäthiopischen Ethnien und Regionen von Tigray und Amharen - unter anderem durch Nutzung des Sklavenhandels - unterworfen wurden. Es folgten konfliktreiche Dekaden und - während des Zweiten Weltkriegs - Mussolinis vergeblicher Versuch, Äthiopien zu unterwerfen.

D: Taugt die Schlacht von Adua als Symbol für den Sieg der Afrikaner gegen die weiße Vorherrschaft?

B: Es lässt sich rückblickend feststellen, dass die Äthiopier ihre relative Schwäche geschickt nutzten, um die internationale Gemeinschaft von ihren antikolonial und antiimperialistisch begründeten Anliegen zu überzeugen. Inneräthiopische Problemlagen traten in den Hintergrund.

D: Eines der diesjährigen Mottos lautet „Adwa – emblem of a pluralistic unity“. Was halten sie davon?

B: Aus äthiopischer Staats- und Regierungssicht macht es Sinn, gegenwarts- und zukunftsbezogene Probleme als Teil eines pluralistisch motivierten Fortschritts zu beschreiben.  

D: Was hätte passieren können, wenn die Schlacht von Adua verloren gegangen wäre?

B: Italien hätte sich als Kolonialmacht etablieren können. Die Geschichte wäre komplett anders verlaufen.  

D: Aber der Glaube an einen Sieg und Menelik, der das Land geeint haben soll, hält offensichtlich nicht mehr so richtig?

B: Die „Demokratische Bundesrepublik Äthiopien“ ist heute eine föderale, maßgeblich von Meles Zenawi geprägte Regionalmacht. Ausgeprägte kulturelle, sprachliche, religiös und ökonomisch verantwortete Probleme und Gegensätze halten an und erschweren, wie sich bei den jüngst gewaltförmig ausgetragenen Auseinandersetzungen in und um in Tigray zeigte, eine friedenspolitisch verhandelte Zukunft.

D: Gibt es für heute etwas aus Adua lernen? Vielleicht um den Staat wieder etwas zusammenzubringen?

B: Die jüngeren Entwicklungen sind besorgniserregend. Während Erinnerungen an Adua und der damit verbundene Feiertage bedeutsam bleiben, ist offen ob und wann eine geschichtsbezogene Selbstvergewisserung zur Einhegung oder Beilegung aktueller Konflikte beitragen kann. Internationalen Quellen zufolge gibt es gegenwärtig im Sudan 60.000 aus Äthiopien stammende Flüchtlinge. Jüngste Vermittlungsversuche der internationalen Gemeinschaft und des von der EU beauftragten finnischen Ministerpräsidenten endeten ergebnisarm. Ein schnelles Ende des in vor allem Tigray ausgetragen militärischen Konflikte ist nicht in Sicht. Bedrückende Menschenrechtsverletzungen halten an und eine anhaltend beförderte humanitäre Katastrophe sind wahrscheinlich. Vermittlungsversuche der internationalen Gemeinschaft endeten bislang ergebnisarm.

D: Haben Sie eine Idee?

B: Vielleicht hilft es den Blick in die Zukunft zu richten. Als ich 1975 erstmals in Äthiopien war hatte das Land 22 Mio. Einwohner. Heute sind es 110 Millionen. Damals gab es eine Universität, heute sind es über sechzig. Zwei Drittel der äthiopischen Bevölkerung ist jünger als dreißig Jahre, jede(r) zweite jünger als fünfzehn. Hier wächst eine neue Generation heran. Es gilt eine zukunftsorientierte Politik befördern, die die Bedürfnisse und das Vermögen der neuen Generation telefon- und internetbezogen berücksichtigt.

D: Wie könnten die Verhandlungen in Tigray ausgehen? Nach allem was passiert ist, war doch klar, dass die äthiopische Regierung auf Forderungen den Westen nach Verhandlungen mit der TPLF nicht eingehen wird.

Dafür spricht Vieles. Dennoch bedarf es einer zukunftsorientierten Strategiedebatte für ganz Äthiopien, die konkurrierende Ideen, Identitäten, Interessen und Institutionen umfänglich berücksichtigt. Es geht um Kultur, Politik und Wirtschaft. Die EU war bislang zurückhaltend. Es gilt, das überkommene „We are right and they are wrong“ durch eine strategische Mischung aus Einflußnahme, Vermittlungsbemühungen und Entwicklungsszenarien zu überwinden.

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