Dr. Abiy erhält Nobelpreis - Kommentare & Analysen

„Die dringendste Reform, die Äthiopien braucht, ist die einer neuen Verfassung. Es können keine weitreichenden Reformen in dem Land umgesetzt werden, ohne dass die Verfassung grundlegend geändert wird. (…) Die bestehende Verfassung ist der Grund allen Übels. Alle Probleme, die Äthiopien hat, entspringen der aktuellen, rassistischen Verfassung. Es ist eine Verfassung die einen Staat hervorgerufen hat, der sich als einziger Staat auf dieser Welt eine „ethnische Föderation“ nennt. Für mich ist dieser Begriff ein anderes Wort für Apartheid.“ (Dr. Asfa-Wossen Asserate)

„Der Nobelpreis könnte Abiy nun aber helfen, die vielen Probleme anzugehen. Noch nicht einmal zwei Jahre ist er im Amt, zu wenig, um all die Aufgaben zu lösen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten aufgetürmt haben. Für viele Äthiopier hat sich die persönliche Lage unter der neuen Führung sogar verschlechtert, trotz aller Reformen oder gerade ihretwegen. Lesenswerte Analyse der Süddeutschen Zeitung zum Friedensnobelpreis.“ (Süddeutsche Zeitung)

„Nur wenn es Abiy Ahmed gelingt, diese Konflikte beizulegen, ohne dass Äthiopien auseinanderbricht, nur wenn er es schafft, Jobs für die Millionen, überwiegend jungen Äthiopier zu schaffen, wird er nicht nur als international gefeierter Friedensnobelpreisträger, sondern auch als erfolgreicher äthiopischer Regierungschef in die Geschichte eingehen.“ (Die Welt)

„Über den Erfolg von Abiys Reformkurs wird wohl auch das Schicksal der jungen Menschen auf dem Land entscheiden. Zwei Drittel der Gesamtbevölkerung sind unter 25, mindestens 30 Millionen sollen ohne Job sein. Der Rest arbeitet oft als Tagelöhner auf den Feldern oder im informellen Sektor der Städte, trotz überwiegend guter Ausbildung. Wenn es ihnen nicht bald deutlich besser geht, dürfte die Abiy-Mania bald vorbei sein. Versöhnung alleine macht nicht satt.“ (Neues Deutschland)

Doch die Unterstützung der Bundesregierung bleibt bisher einfallslos. Warum sie die neue Leiterin der äthiopischen Wahlbehörde ausgerechnet nach Deutschland eingeladen hat, wo Wahlen grundsätzlich reibungslos verlaufen, anstatt eine Zusammenarbeit mit einem Transformationsland wie beispielsweise Tunesien zu fördern, wo die Anknüpfungspunkte größer wären, ist ein Rätsel. Hier muss sich die Bundesregierung von ihrer deutschen Selbstzentriertheit lösen und deutlich innovativere Ansätze und Instrumente entwickeln, die sie dann auch in anderen Fällen anwenden könnte.“ (Gastkommentar in Die Zeit)

„Abiy hat den höchsten Friedenspreis also bekommen für einen Frieden, der in erster Linie auf dem Papier existiert. Schlimmer noch: Am Ende könnte die Verleihung eben jene Friedensbemühungen sogar torpedieren. Indem sich nämlich die eritreische Führung noch weiter als bislang geschehen unter Zugzwang gesetzt fühlt. Wer derart skrupellos ein ganzes Volk zwecks eigenen Machterhaltes in Ketten hält wie der brummige Autokrat in Asmara, der lässt sich ungern von einem halb so alten Charismatiker in aller Weltöffentlichkeit düpieren.“ (Deutsche Welle)

Das Nobelpreiskomitee knüpft mit Abiy Ahmed an Barack Obama an: Gewürdigt wird die Erwartung und nicht nur die Leistung, die Hoffnung, nicht nur der Erfolg. Aber zunächst ist das zweitrangig. Äthiopien, das einzige afrikanische Land, das sich erfolgreich der kolonialen europäischen Eroberung ­widersetzte, ist auch die letzte der mehrtausendjährigen alten Weltzivilisationen, die noch nie mit einem Nobelpreis geehrt worden waren. Ein großes Land und mit ihm ein ganzer Kontinent wird jetzt stolz sein.“ (taz)

„Nach einem gescheiterten Staatsstreich im Juni zog der Premier autoritäre Seiten auf und ließ Hunderte von Menschen verhaften. Der Wahltermin im kommenden Jahr, bei dem sich der Regierungschef, der vor eineinhalb Jahren aus dem Nichts ins Amt nachrückte, auch demokratisch legitimieren will, dürfte nicht halten. Der Übergang zur Demokratie in Äthiopien kann noch scheitern. Ob der Friedensnobelpreis nur ein Symptom einer naiven Hoffnung auf ein Happy End auf dem gebeutelten Kontinent Afrika ist, ist längst nicht ausgemacht.“ (Der Standard / Österreich)

„Die Aggressionen haben auch einen religiösen Aspekt. 52 der Toten sind laut einem Kirchenvertreter orthodoxe Christen. Diese machen etwa 40 Prozent der äthiopischen Bevölkerung aus. Viele Äthiopier assoziieren die orthodoxe Kirche vor allem mit den Amharen. Zwischen den Volksgruppen der Oromo und der Amharen existiert eine lange Geschichte von Spannung und Feindschaft; religiöse und ethnische Identität werden dabei oft vermischt. Zugleich jedoch gibt es in Äthiopien, nebst der Binnenmigration, viele Heiraten zwischen Angehörigen der verschiedenen Ethnien, und trotz dem ethnischen Charakter der Regionen sind die Gebiete nirgends ethnisch «rein». Allerdings scheinen die Aktionen der Radikalen genau auf eine solche ethnische «Säuberung» hinauszulaufen.“ (NZZ / Schweiz)

„Jawar, so scheint es, hat Abiy mit dem Rücken an die Wand getrieben. Der Radikale hat offenbar bereits die Wahlen im Mai 2020 im Blick. Abiy hat mehrfach versprochen, es solle fair gewählt werden, das wäre noch ein Novum in Äthiopien. Sollte Jawar antreten, schwinden Abiys Chancen auf einen Sieg. Aber der Oromo-Machtkampf ist nicht Abiys einzige Sorge: Es gibt weitere Gruppen, denen die neue Freiheit nicht genügt. Sie wollen sich von Äthiopien abspalten und andere Ethnien mit Gewalt vertreiben. Seit Mitte 2018 haben bewaffnete Separatisten so Millionen in die Flucht gedrängt und Hunderte getötet. Abiy schickte die Armee gegen sie, noch mehr Menschen starben. Abiys Dilemma: Staatliche Gewalt gegen die eigene Bevölkerung soll es bei ihm nicht geben. Wandte er sie in der Peripherie doch an, fiel das bislang meist eher lokalen Menschenrechtsorganisationen auf. Addis Abeba aber ist das Zentrum des fragilen Landes. In der Hauptstadt landen die Touristen, hier sitzt die Afrikanische Union, hier schlägt das Herz der eigentlich vielversprechenden, großen Volkswirtschaft. Dort und im Umland sind dem Premier doppelt die Hände gebunden. Und das weiß vor allem: Jawar Mohammed.“ (Der Spiegel)

“To be clear, I did not nominate Abiy because I believed he had effectively transformed the peace and security landscape in Ethiopia or the Horn of Africa. Although his achievements were nothing less than stellar, I nominated him partly because I view the Nobel Peace Prize as a call to action - a prestigious award that would give Abiy the moral authority to redouble his efforts to achieve a new political settlement in the region based on peaceful co-existence and economic interdependence.” (Al Jazeera)

„THERE ARE two types of Nobel Peace Prize winner. The uncontroversial ones are often campaigners, such as Nadia Murad (who won last year for her work highlighting rape during war) or the Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons (which won in 2013). The controversial ones are often the politicians who actually negotiate peace deals—think of Yasser Arafat or F.W. de Klerk. Politics in violent places is a nasty, messy affair, and peace deals don’t always last. The award of the prize on October 11th to Abiy Ahmed, Ethiopia’s prime minister, will spark more debate than most.“ (Economist)

„The run-up to the 2020 election will be rife with uncertainty, not only because of entrenched party rivalry and the growing risk of ethnic strife, but also because needed structural reforms – of the judiciary, which means politicized, and of the election commission – cannot fully implemented before voting next year. And without proper democratic institutions and formal checks and balances in place going into the election, anything can happen.” (The New York Times)

"The peace prize bestowed on Ethiopia’s prime minister is a call to halt these atrocities. When Abiy assumed power, it was by riding a wave of discontent over the displacement of poor farming communities around Addis Ababa, whose grievances he – uniquely among senior politicians in the country – had the courage to acknowledge. Whereas the displacement of communities in the vicinity of the capital sparked outrage, the unjust treatment of ethnic minorities has not, so far, attained the status of a popular issue. For the people of the Lower Omo, the situation is desperate. But for Ethiopia and its friends, there is still a chance of salvage. Working for peace, as Abiy well knows, inspires most when it is carried out not in good times – when people are already united – but when power appears to reside with the forces of violence and division." (The Guardian)

„More than ever, Abiy is now under an African and global spotlight, and expectations on him to deliver are enormous. He needs to marshall local, regional, continental and international resources to promote peace and stability in Ethiopia and Africa at large. Africa’s latest peace laureate needs to show that he can consolidate his vision with support from his party, the nation’s bureaucracy and its people, while engaging with political opponents. The Nobel Peace Prize gives Abiy valuable moral and political momentum to press ahead with his domestic and regional ambitions.“ (Institute for Security Studies)

"As with Meles, the international community’s idolization of Abiy feels disproportionate to his actual accomplishments. The awarding of the Nobel Prize is also very poorly timed, occurring only seven months before elections that are widely expected to plunge the country into further unrest. Abiy has already repeatedly shut off the internet and locked up protesters, and he may yet do worse. How will that reflect on the Nobel Prize?" (Foreign Policy)

“The prestigious recognition, while deserved, must be accompanied by a sober appreciation of what came before Abiy, and of the bumpy road ahead. The ruling EPRDF is a marriage of convenience, a four-tentacled coalition that allowed each ethno-regional arm a degree of autonomy and a share of the national cake. While famously disciplined and undeniably heavy-handed, proponents of the liberation movement-turned ruling party argued their formula is what has held one of Africa’s largest and most diverse countries together for three decades.” (Brooking Institute)

„Sustaining peace, both regionally and domestically, requires the building of institutions, as Abiy and his team know well. If the Nobel Peace Prize energizes these initiatives that engage not only Abiy but a range of political and civil society actors and leaders of regional states, then the prize will serve to advance peace in a region that is ready for it.” (Foreign Policy)

„Ensuring accountability for past crimes, along with reconciliation and healing, will be key not only for dealing with Ethiopia’s legacy of abuse, but also with the heightened political and ethnic tensions and violence affecting much of the country. Abiy should also use ongoing negotiations with Eritrea to press for urgently needed rights reforms there.“ (Human Rights Watch)

„There are a great many troubling issues still unresolved in Ethiopia and tense times ahead with an election due next year. Abiy also has many enemies. These include agitators who try to use ethnic fault-lines for their own political ends, powerful ethno-nationalist activists who thrive on division and political entrepreneurs who only see politics as a means of personal enrichment. All are relentlessly working to exploit a fragile situation. Securing the safety of the citizens is the bare minimum he needs to do.“ (Quartz Africa)

“In Ethiopia, everything is based on ethnicity; it’s the first thing people think about – it is even on your ID card,” said Obana Metho, founder and executive director of The Solidarity Movement for a New Ethiopia, a local civic organisation that promotes dialogue to achieve change. “Ethnicity is anti-democratic by definition, as it excludes,” said Metho. “Changing a country planned on ethnicity will take a lot.” (The New Humanitarian)

„The award of the Nobel Peace Prize to Prime Minister Abiy Ahmed Ali of Ethiopia seems full of irony, and in many ways – perhaps too many. But first, and following convention, one must congratulate the new Laureate. It would be improper not to recognize the honor merely because of seriously-held disagreements with the prime minister’s policies. It is good news for Ethiopia and Africa that one of its own has won the Prize. But this of itself is no reason not to question the justification for the award, or to remain silent for fear of attacks from political cheerleaders. Sometimes, somewhere and for someone, it is necessary and useful to scrutinize issues and record misgivings, if any.“ (Addis Standard)

„This crisis is the making of the Prime Minister who is more of a showman and a stooge of extremists rather than a leader with substance and grand strategy for peace and development in Ethiopia and the region. His intention was to create a modified version of the current political system and create a perception of change and maintain the status quo in a disguised form. That approach did not work and has not been fully accepted even by his own constituency. This stalemate has created a crisis which requires the urgent intervention of the AU, the United Nations, and the European Union to ensure stability in Ethiopia, but more importantly to ensure regional stability and prevent violent extremism from taking over the country and the region with global security implications. The instability of a country with a population of over 100 million will have far reaching consequences on every country in the region; and Europe should be bracing for the migration of millions.“ (Borkena)

„Ethiopia is again on edge, and there’s no reason why anyone at home or in the international community should be surprised. For all of the optimism that came with Prime Minister Abiy Ahmed’s leadership and his commitment to enacting democratic reforms, there’s always been a drumbeat of analysts warning that ethnic tensions aren’t going away, and ominous predictions that Ethiopia’s tangled knots were more complicated than one man could undo.“ (Africa Times)

„Abiy seems to be the prisoner of Ethiopia’s federal government, the very system that propped him up. This federal system draws its legitimacy from citizens maintaining a strong ethnic identity at the regional level. In light of this the new premier has two options. One is to actively pursue the unifying agenda that made him popular, which would alienate his ethnic Oromo constituency. The other is to align with the interests of the Oromo ethno-nationalist movement. This would secure the electoral support of his political base in Oromia. But choosing the latter could deprive him of the non-Oromo support he has been enjoying.“ (The Conversation)

 

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