Legal Pluralism in Ethiopia: Actors, Challenges and Solutions

Die kulturelle und ethnische Vielfalt Äthiopiens ist in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung für das Land. Neben dem staatlichen Recht koexistieren bis heute traditionelles und religiöses Recht mit ihren eigenen Normen, Institutionen, und Praktiken, welche nicht nur für die Landbevölkerung, sondern auch im urbanen Kontext eine große Rolle spielen. Da während früherer Regimes offiziell nur das staatliche Recht erlaubt war, wurden traditionelles und religiöses Recht nur inoffiziell angewandt. Seit 1995 erlaubt die neue Verfassung jedoch offiziell, Fälle des öffentlichen und zivilen Rechts lokal zu lösen, vorausgesetzt, alle beteiligten Parteien sind damit einverstanden. Lokales Recht und kulturelle Vielfalt haben hiermit eine große Aufwertung erfahren.

Der im Juli 2020 erschienene Sammelband untersucht diese Koexistenz von staatlichen, traditionellen und religiösen – vor allem islamischen - Rechtsforen aus der Perspektive von Rechtspraktikern und Rechtsuchenden. Die Fallbeispiele zeigen, dass beide Seiten Strategien entwickeln, um ihre Interessen zu verfolgen. Während sich Regierungsangestellte in Verwaltung und Gerichten für die Implementierung des nationalen Rechts einsetzen und gleichzeitig versuchen müssen, das Vertrauen der lokalen Bevölkerung nicht zu verlieren, so kämpfen Rechtssuchende für die Durchsetzung ihrer persönlicher Interessen, aber auch den Erhalt ihrer kulturellen Werte und Identität, die in vielen Fällen denen, die dem staatlichen Recht zugrunde liegen, widersprechen.

Diese Gegensätze führen teilweise zu ungewollter Konfusion und Konflikten, aber auch zu nachhaltiger und lokal akzeptierter Konfliktlösung, innovativen neuen Abläufen und auch zu neuen, hybriden Normen und Rechtinstitutionen. Ohne die existierenden Probleme zu verleugnen, legt das Buch einen besonderen Schwerpunkt auf die Potentiale des Rechtspluralismus und betont die Kontexte und Konditionen, die eine kooperative und produktive Koexistenz verschiedener Rechtssysteme stimulieren.

Der Sammelband ist das Ergebnis eines dreijährigen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Projektes, welches von 2016–2019 am Frankfurter Frobenius Institut angesiedelt war. Das Projekt „Negotiating Law in the Peripheries of Southern Ethiopia“ untersuchte die täglichen Herausforderungen, mit denen sich Rechtspraktiker und Rechtssuchende im heutigen Äthiopien konfrontiert sehen, und wie sie mit der Vielzahl an existierenden Rechtsforen und -formen umgehen. Der Band wurde von Susanne Epple, Ethnologin am Frobenius Institut, und Getachew Assefa, Jurist an der School of Law der Addis Ababa University, herausgegeben. Neben der Einleitung und drei eher theoretischen und konzeptionellen Beiträgen enthält er zwölf Fallbeispiele namhafter äthiopischer und deutscher Wissenschaftler aus verschiedenen Regionen Äthiopiens.

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